“Das will ich auch mal machen.” “Es sieht so schön bei ihr aus.” “So toll krieg ich das nicht hin” Diese Gedanken verfolgen mich öfter, wenn ich durch meinen Instagram Feed scrolle oder Youtube Videos schaue. Dabei fällt mir auf wie schön alle diese Fotos sind. Wie krass teilweise die Videoschnitte, wieviel Arbeit darin steckt, um alles perfekt in Szene zu setzen.
Als das Internet noch hässlich war…
Als jemand, der noch das alte Internet mit giftgrünen Schriftzügen, blinkenden Neonhintergründen und klitzekleinen Fotos erlebt hat, ist es einfach krass diese Entwicklung zum Hochglanzformat zu beobachten. Wo man früher noch ein Foto einscannen musste, um es überhaupt in den PC zu bekommen, geht nun alles vom Handy aus. Ich erinnere mich noch an Zeiten, in denen man die Fotos für Handmade Produkte noch hauptsächlich auf dem heimischen Fußboden gemacht hat.
Auf Dawanda und Etsy konnte man schon am Foto erkennen, dass etwas Handmade war, einfach weil die Fotos nicht auf weißem Hintergrund freigestellt waren, wie es zu der Zeit die Norm war im Onlinehandel. Das sah natürlich auch früher schon etwas unprofessionell aus. Gleichzeitig hat es aber auch signalisiert, dass hier jemand mit Herzblut zu Hause Dinge fertigt und verkauft. Keine große Marketing- oder Produktentwicklungsabteilung. Kein riesiges Brimborium. Einfach das Produkt von Mensch zu Mensch.
Natürlich gab es auch damals schon Menschen, die es geschafft haben richtig tolle Fotos zu machen und sich gut zu präsentieren. Doch auf den Handmade Plattformen war das eher die Ausnahme. So tolle Fotos haben dann einfach sehr positiv aus der Maße herausgestochen.
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Die Professionalisierung des Internets
In den letzten 20 Jahren konnte ich immer mehr beobachten, wie stark sich diese Medienlandschaft verändert hat. Durch die Zugänglichkeit von immer krasser werdender Technik, ist es inzwischen so unglaublich einfach richtig gute Fotos oder Videos zu machen. Wo 2004 noch kaum jemand eine Digitalkamera hatte, knipst heute jeder mit seinem Telefon bessere Bilder als es damals für den Ottonormalverbraucher möglich war.
Doch nicht nur die Medienlandschaft hat sich verändert. Auch wir. Ja, es ist einfacher geworden, tolle Bilder zu machen. Doch genau deswegen wird auch immer mehr optische Qualität erwartet als früher. Selbst im Amateurbereich. Kaum einer folgt jemandem auf Instagram, wenn die Bilder nicht richtig cool aussehen. Kaum einer schaut sich Videos an, bei denen der Ton schlecht ist oder die Person nicht optimal ausgeleuchtet. Zumindest aber, wird man darauf deutlich hingewiesen, wenn mal was nicht so optimal aussieht. Oder schlimmer noch: man wird gar nicht erst wahrgenommen.
Das war nicht immer so. Als jeder noch dieselben schlechten Kameras hatte, sind zwar auch diejenigen herausgestochen, die besseres Equipment oder Fähigkeiten hatten. Doch waren das so wenige, dass man sie schon als Einhorn bezeichnen konnte. Früher wiesen die Produktbilder auf Etsy und Dawanda interessante Hintergründe aka Fliesen oder Teppichboden auf, sodass man mit etwas besseren Fotos direkt positiv aufgefallen ist. Heute ist gefühlt ein ganzes Studiosetup inkl. Beleuchtung vonnöten, um nicht negativ im Strom der anderen perfekten Bilder aufzufallen. Oder man geht die digitale Route und schnippelt einen gar nicht existierenden Hintergrund dazu. Künstliche Intelligenz, Filter und Co. machen es möglich. Wo man früher noch mühsam ein Produkt ausschneiden musste, um es auf einen perfekten weißen Untergrund zu platzieren, reicht heute teilweise ein Mausklick, um diese Arbeit zu erledigen.
Diese ganzen Hilfsmittel machen es also sehr leicht professioneller aufzutreten. Da es aber so leicht ist, hat sich der Standard auch mit nach oben geschraubt.
Versteht mich nicht falsch, es ist toll, dass Vieles heute so viel einfacher geht. Das senkt die Schwelle, die man überqueren muss, um Qualität abzuliefern enorm und ermöglicht es viel mehr Menschen sich zu verwirklichen.
Was auf dem Weg verloren ging
Doch eins ist dabei vollkommen auf der Strecke geblieben: die Nahbarkeit. Wenn jeder kleine Unternehmer dieselben professionellen Fotos hat wie die ganz Großen, wenn jeder Kreativblogger dieselben gut ausgeleuchteten Fotos seines Studios hat, wenn jeder Lifestyle Instagrammer dieselben ästhetischen Fotos des perfekten Lebens hat, dann fühlt sich das alles nicht mehr so richtig echt an. Oder noch schlimmer: die eigene Realität fühlt sich nicht echt an, denn bei den anderen ist alles schöner, geht alles schneller und sowieso besser.
Und genau dieser letzte Punkt macht mich so traurig. Denn auch ich trage zu diesem Bild bei. Ich habe mich fast nie getraut in unseren alten Plattenbauwohnungen mehr als nur Nahaufnahmen meiner Werke zu machen. Denn ich habe mich schlecht dafür gefühlt, nicht in einer coolen Berliner Altbauwohnung zu wohnen oder einem Landhaus. Ich habe meine Raufasertapete in Bildern gehasst, weil sie für mich als nicht so hochwertig wirkt. Zugegeben, als Privatperson wäre mir das echt schnurzpiepegal, denn dann würde ich mein Leben gar nicht so online teilen. Doch als Inhaberin von Pumora, wollte ich dieses Image nicht, da es im Strom der anderen Bilder online einfach unprofessionell wirkt.
Wenn gefühlt alle anderen in meiner Branche schöne Wohnungen haben und ich mit meinem Mischmasch an Möbeln, kleinen Fenstern und ja, auch Unordnung daherkomme, bekäme ich doch sicher viele blöde Kommentare. Und na klar, die bekommt man auf jeden Fall. Menschen online sind da unbarmherzig. Doch vielleicht wären auch ganz viele Menschen dankbar gewesen, dass ich diese Realität teile. Denn so leben viele Menschen. Man fühlt sich doch direkt gesehen und repräsentiert!
Inzwischen lebe ich auf der Baustelle und auch wenn es schon viele schöne Ecken in unserem Haus gibt, muss ich schon sehr ausgewählte Blickpunkte nutzen, damit man sich nicht mehr über den Hintergrund wundert als das, was ich eigentlich zeigen möchte. Es ist nämlich ziemlich bescheiden, wenn man voller Stolz sein gesticktes Werk zeigt und die Hälfte der Kommentare fragt, ob bei dir jemand eingebrochen ist.
Auf der Suche nach mehr Authentizität
Doch warum ist Social Media nicht authentisch? Da gibt es zwei Seiten der Medaille.
Die allermeisten Menschen auf Instagram und Co. wollen gar keine richtige Authentizität sehen. Natürlich feiern wir es, wenn eine große Influencerin berichtet, wie anstrengend es ist, mit 3 Kindern und Vollzeitjob, oder wenn mal eine unordentlichere Küche gezeigt wird. Doch würden wir als ZuschauerInnen wirklich weiter zuschauen, wenn die Inhalte viel mehr daraus bestünden?
Social Media ist oft auch eine Art Eskapismus – ein entfliehen der eigenen Realität. Wenn unsere Lieblings-Lifestyle-YouTuber plötzlich dieselben Probleme im Haus haben und diese auch nicht gelöst bekommen, ist es dann noch inspirierend? Wenn eine Mama-Instagrammerin jedes Mal die unaufgeräumten Zimmer zeigt, die schreienden Kinder, die Erschöpfung am Ende des Tages und vor allem auch die Ratlosigkeit, die mit dem Elternsein öfter einhergeht, als einem lieb ist. Ab und zu: klar! Das macht einen ja nahbar. Aber wenn diese Seiten anteilig genauso viel gezeigt würden wie die schönen Momentaufnahmen, wären die Feeds definitiv nicht mehr dasselbe einheitliche Happy Life, das wir uns so gerne anschauen.
Die andere Seite ist die des Influencers, der professionell rüberkommen, ein paar Sachen privat halten möchte oder schlichtweg ein Bild von sich Selbst hat, dass sich durch den Account zum Ausdruck bringt. Es gibt auch Menschen, die ihren Account als Kunstprojekt ansehen. Da geht es gar nicht darum authentisch zu sein, sondern eine schöne Welt zu kreeiren. Aus dem selben Grund warum wir als Zuschauer eine heile Welt lieber anschauen: Eskapismus. Auch Influencer dürfen sich ihre eigene Welt schaffen.
Das passiert wenn ich experimentiere
Mal als Beispiel aus meiner Stickbubble. Ich verdiene meinen Lebensunterhalt damit, dass ich Menschen zeige, wie das mit dem Sticken geht. Mein Image ist also: Anne kann das und die kann mir das auch zeigen.
Nun mache ich öfter Experimente mit verschiedenen Techniken und versuche immer erstmal das zu benutzen, was ich da habe um nicht ständig neuen Krempel anzuschaffen. Dabei geht natürlich auch mal was nicht nach Plan und dann muss ich umdenken. Das ist schon immer meine Art gewesen, um Dinge zu verstehen und zu lernen – Ausprobieren.
Jedes Mal, wenn ich ein kurzes Video hochlade, wo ich über solche Experimente rede oder zeige, was schiefgelaufen ist, kommen Kommentare, die mir die Kompetenz absprechen. Die mir sagen, was ich dafür kaufen muss oder anmerken, was ich alles falsch gemacht habe. Dabei wird oft gar nicht beachtet, dass es sich hierbei um ein Experiment handelt sondern es wird davon ausgegangen, dass man sich nur zu blöd anstellt, weil man keine Ahnung hat.
Meine Intention solche Videos zu teilen ist es ja, zu zeigen, dass man auch mal Fehlschläge hat und wie ich das umschifft kriege, sodass doch noch ein cooles Ergebnis herauskommt. Es geht also nicht um eine Schritt-für-Schritt-Anleitung, sondern einen Findungsprozess. Es geht auch darum zu zeigen, was passiert, wenn man bestimmte Regeln ignoriert, damit man weiß, warum diese Regeln existieren.
Was bei vielen aber scheinbar ankommt ist, dass ich das nicht richtig hinkriege. Damit untergrabe ich also direkt mein Image, dass ja durchaus von Kompetenz lebt.
Deshalb kann ich solche Videos z.B. nicht mehrere Tage hinter einander weg posten, weil sonst vermehrt Menschen auf meine Inhalte aufmerksam werden, die den Klugscheissermodus für sich gepachtet haben und nur auf Social Media sind um alles zu kritisieren was in ihren Augen falsch ist.
In der Konsequenz bedeutet das aber auch, dass meine Videos suggerieren, dass bei mir immer alles sofort klappt und ich alles kann. Das ist sehr schade, denn das ist oft auch sehr demotivierend für alle, die noch am Anfang ihrer Stickereireise stehen und bei denen eben nicht alles sofort klappt. Denn auch bei mir klappt nicht alles sofort und das finde ich auch ganz normal so.
Instagram ist eine Shitshow geworden
Dazu kommt, dass Instagram sich in den letzten Jahren sehr geändert hat. Der Algorhytmus hat festgestellt, dass negative Publicity viel mehr Aktion hervorruft als positive. In der Folge kommt es dazu, dass Menschen Dinge angezeigt werden, die sie nicht nur nicht sehen wollen sondern abgrundtief verabscheuen. So kommt es, dass bei einem komplett harmlosen DIY plötzlich hunderte Kommentare erscheinen, die sich mal den Mund mit Seife auswaschen müssten. Von Beleidigungen bis zum Spekulieren über die politische Gesinnung, finanziellen Hintergrund und wie man seine Haustiere behandelt.
Mir ist das zum Glück noch nicht auf Instagram passiert, aber ich sehe es regelmäßig selbst in so harmlosen Bereichen wie DIY. Versuch mal einen Holzschrank zu lackieren ohne Haßkommentare zu erhalten 😀
Neulich wurde mir ein Video angezeigt wo jemand einen Zaun neu gemacht hat um etwas mehr Privatsphäre auf der Terrasse zu haben. Da sind plötzlich Diskussionen darüber entstanden, dass man sich ja nicht mit seinem Nachbarn versteht und dass so das Gemeinschaftsgefühl in der Nachbarschaft zerstört wird. Es gab Diskussionen, dass hohe Zäune den Klimawandel beschleunigen, weil der Wind da nicht mehr durchblasen kann und sich deshalb der Raum dort stärker erwärmt. Die Kirsche auf der Kommentartorte war allerdings, dass Wildvögel da angeblich nicht mehr drüber fliegen können. Kannste dir nicht ausdenken.
Es gibt also durchaus auch strukturelle Probleme, die dazu führen, dass man als Influencer sehhhhr vorsichtig ist, was man teilen möchte. Es gibt Menschen, die sich dann voll in diese Haßrichtung stürzen und absichtlich Dinge falsch machen um Reaktionen zu provozieren oder hauptsächlich auf negative Kommentare in ihren Inhalten eingehen. Letzteres ruft natürlich den Beschützerinstinkt der Zuschauer hervor, was wiederum für viel mehr Aufmerksamkeit für das Video sorgt.
Dieses ständige Rangeln hinterlässt allerdings seine Spuren. Bei manchen mehr, bei manchen weniger.
Sei authentisch und niemand schaut dir zu.
Als Influencer oder auch als UnternehmerIn, die quasi mit ihrem Social Media Auftritt auch Geld verdienen, hat man durchaus eine Intention sich so gut zu inzenieren wie möglich. Denn wird man nicht professionell wahrgenommen, hört dir keiner zu und kauft erst recht nicht deinen Kurs, Service oder sonstiges Produkt.
Authentizität ist also nur bis zu der Grenze möglich wo die Professionalität untergraben wird. Bis zu einem bestimmten Grad geht das also und der sieht bei jedem auch anders aus. Als Zuschauer dort nach Authentizität zu suchen wo Dinge verkauft werden sollen, ist letztlich auch etwas verlorene Liebesmüh. Natürlich gibt es da Abstufungen! Doch niemand würde doch auf die Idee kommen bei Edeka oder Vodafone nach Authentizität zu suchen.
Influencermarketing verwischt diese Grenze zwischen kommenziellen Absichten und Privatpersonen sehr stark.
Authentizität findet man allerdings noch, nur schwierig und oft schauen wir sie nicht an. Wir sind inzwischen so daran gewöhnt Hochglanzformate zu sehen, dass die ganz einfachen, nicht so toll ausgeleuchteten Dinge und die etwas zu langen, ungeskripteten Monologe untergehen. Richtig tolle Menschen, die viel zu zeigen und zu sagen haben oder einfach durch ihren Alltag führen. Aber einfach nicht die hundert Extraschritte gehen um so ein Video professionell zu machen. Licht, Audio, Schnitt, verschiedene Winkel, Skripte – das alles braucht viel Zeit und vor allem muss man das alles extra lernen.
Das fängt beim Thumbnail an. Dieses kleine Vorschaubild und der Titel entscheiden ob jemand anklickt oder nicht. Das ist quasi der Buchumschlag eines Videos. Egal wie toll der Inhalt ist, wenn der Buchumschlag nicht ansprechend ist, wirds nicht angeschaut.
Was tun?
Eine Lösung habe ich für dieses Dilemma leider nicht. Viele Influencer zeigen im 1. Bild das ästhetische und in den darauffolgenden das alltägliche Chaos, wenn sie über sowas reden. Stories sind vielleicht auch noch ein guter Platz dafür. Doch am Ende bleibt zumindest in unserer heutigen Zeit bestehen, dass die meisten die schönen Bilder sehen wollen und die meisten Influencer/Firmen, die schönen Seiten zeigen wollen. So wird es wohl noch eine Weile bleiben. Wobei, inzwischen geht es ja schon in die Richtung der Irrealität wo durch Filter und K.I. die Realität so stark verändert wird, dass sie über das einfach “Aufhübschen” der letzten 10 Jahre hinausschießt. Also vielleicht werde ich in 10 Jahren darüber reden, dass es vollkommen Latte ist wie deine Wohnung aussieht, weil du das eh künstlich für Videos und Fotos erstellen kannst wie du es haben willst. Wer weiß. Mal sehen was Zukunfts-Anne dazu sagen wird.
Eine Möglichkeit sich von den Hochglanzformaten als Zuschauer zu lösen ist es, den Accounts zu entfolgen bei denen man am Ende immer das Gefühl hat nichts wert zu sein, alles falsch zu machen und unbedingt diese ganzen Produkte kaufen zu müssen damit man sich besser fühlt.
Haltet Ausschau nach Accounts, die das wahre Leben mehr zeigen – ob nun als Foto oder als Text. Lest euch mal die Beschreibungen unter den schönen Posts durch. So viele teilen tolle Gedanken und geben Denkanstöße unter einem schönen Blumenfoto.