Man sollte annehmen, dass Handarbeiten eine nachhaltige Angelegenheit sind. Früher nutze man Handarbeitstechniken, um sich all die Dinge zu schaffen, die man brauchte oder haben wollte. Doch auch früher schon folgten Handarbeiten Trends, die mehr oder weniger große Stilblüten schlugen.
Trends sind kurzweilige Phänomene, die große Wellen schlagen und dafür sorgen, dass viele Menschen Dinge machen, einfach, weil “alle das gerade machen”. Je nachdem wen man fragt, sind Trends absoluter Mist oder die tollste Sache der Welt. Wie gut oder schlecht Trends für uns sind und warum Trends selbst vor 200 Jahren schon immer absurder wurden, ergründe ich in dieser Podcastepisode.
Fadengespräche Episode 11
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Verrückter Trend aus dem 18. Jahrhundert
Trends haben nicht nur in unserer Zeit Auswirkungen auf unser Handeln. Auch wenn es uns manchmal schwerfällt, die Menschen früher waren genauso schlimm wie wir! Im späten 18. Jahrhundert war es im Trend Goldfäden von Kleidung aufzutrennen. Damals wurden Jacken und Uniformen noch oft reichhaltig mit Metallgarnen bestickt. Da kam es schonmal vor, dass eine Uniform reich verziert an der Theatergarderobe abgegeben wurde und weniger schwer wieder herauskam.
Die Goldfäden wurden dann beim Golddealer um die Ecke verhökert. Jetzt sollte man meinen, dass sich arme Menschen damit über Wasser halten wollten. Doch nix da! Das war ein lustiger Zeitvertreib für wohlhabende und adlige Damen, die sich damit ein bisschen “Taschengeld” dazu verdient haben. Dafür hatten sie überall ein kleines Täschchen mit Nähutensilien dabei, welches sie zückten, sobald jemand goldbestickte Kleidung unbeaufsichtigt ließ.
So kam es, dass es Mode war, sich Gold verzierte Kordeln und Accessoires zu schenken, mit dem reinen Zweck, dass die beschenkte Person sie wieder auftrennen kann. Der Spaß lag wohl darin, die Goldfäden fein säuberlich vom Untergrund zu trennen. Es gab sogar Handarbeitsrunden, bei denen genau das getan wurde! Die Ausbeute wurde dann gesammelt und eingelöst. Abgetragene Kleidung, in die Metallfäden eingewebt waren, wurden verbrannt, um das Gold wiederzuerlangen.
Diese Geschichte klingt so verrückt, dass sie tatsächlich auch heute noch passieren könnte.
Quelle: 18th Century Embroidery Techniques * von Gail Marsh – Seite 39 * Affiliate-Link
Dieser Trend hat eventuell auch mit dem Nachhaltigkeitsgedanken begonnen. Denn Gold ist auch damals schon ein geschätzter Rohstoff gewesen. An und für sich ist es sehr nachhaltig diesen Rohstoff wieder in den Kreislauf zurückzuführen. Doch stell dir doch mal vor, du bist Handwerker und stellst Kordeln aus Goldfäden her, mit dem Bewusstsein, dass sie nur dafür gekauft werden, um wieder aufgetrennt zu werden! Sicherlich wurde da irgendwann nicht mehr soviel Mühe reingesteckt, sodass die Goldfäden auch leichter herauszutrennen gehen, aber es fühlte sich sicher für einige sehr unnütz an. Andere waren sicher einfach nur froh, ihre Waren zu verkaufen.
Diese Bewegung ins Absurde findet sich auch heute noch in vielen Trends wieder. Es beginnt ganz harmlos mit einer Idee und zack plötzlich spielt die Welt verrückt.
Not macht erfinderisch – und was danach passiert
Das ist im Übrigen ein roter Faden, der sich durch alle Techniken zieht, die von Menschen genutzt wurden, die irgendwie über die Runden kommen mussten. Es gab und gibt nun mal Zeiten in denen Menschen nicht viel hatten. In diesen Situationen musste man kreativ werden und ganz oft um die Ecke denken um zu überleben.
Dadurch sind z.B. Techniken wie Patchwork, japanisches Kunststopfen und Teppichflechten entstanden.
Patchwork gibt es schon sehr lange. Auch im 17. und 18. Jahrhundert war es ein Trend bei der hohen Gesellschaft selbst die kleinsten Schnipsel teurer Importstoffe zu schönen Dingen zu machen.
Doch erst mit der Kolonialisierung Amerikas ist Patchwork das geworden, was wir heute noch kennen. Die Siedler mussten mit sehr wenig Ressourcen auskommen und so war es wichtig selbst die kleinsten Reste Stoff noch zu verwenden. Patchwork ist eine Methode um aus vielen kleinen Stoffresten wieder ein größeres Stück zu machen. Selbst wenn man noch so sparsam zuschneidet, es bleiben immer Stoffreste übrig. Diese wurden dann zusammengenäht, um Decken, aber auch Kleidungsstücke daraus zu fertigen. Auch abgetragene Textilien konnten so zum Teil wieder nutzbar gemacht werden.
Der unerlässliche Drang nach Schönheit hat dazu geführt, dass Hunderte verschiedener Patchworkdesigns entstanden. Die Vielfalt, die daraus entstand, ist unglaublich! So haben die Menschen aus der Not eine Tugend gemacht und plötzlich hat jeder Patchwork gemacht.
Irgendwann war es so ein integraler Bestandteil der Kultur, dass es nicht mehr ausschließlich darum ging jeden Fitzel aufzuheben, sondern man hat gepatcht, weil es schön und nützlich war. Ob man dabei Stoffreste nutzte oder Meterware gekauft hat, war irgendwann nebensächlich. Die Siedler von damals würden wahrscheinlich die Hände überm Kopf zusammenschlagen, wenn sie sähen, dass wir heute oft neue Stoffe zu Patchwork zerschnippeln.
Genauso sind sehr viele Techniken aus einem praktischen Gedanken heraus zu einem Trend geworden.
Doch verschob sich der Sparsamkeitsgedanke irgendwann zu einem Gefühl der Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit. Patchwork und Quilt war auch eine Gemeinschaftsarbeit. Ob man nun zusammen an einer Decke für eine junge Familie arbeitete oder im Frauenzirkel an seinen eigenen Projekten saß. Es ging mehr darum in Verbindung zu sein, sich auszutauschen und dabei noch etwas Nützliches zu erschaffen.
Trends verbinden
Und genau darin liegt meiner Meinung nach auch heutzutage noch der Reiz von Trends. Das Gefühl, zu etwas Größerem dazuzugehören. Die Begeisterung zu teilen über diese eine neue Sache. Genauso begeistert wie die adligen Damen damals Goldfäden von mitgebrachten Troddeln trennten und sich dabei Bridgertonstyle über den neusten Tratsch austauschten. Genauso inspiriert von einem neuen Patchworkmuster wie die Frauen im Handarbeitszirkel, die sich über ihre Sorgen und Nöte oder neuste Entwicklungen in ihrer Umgebung austauschten. Genauso fühlen wir uns heutzutage, wenn wir denselben Kerzenhalter wie Influencerin XYZ gebastelt haben oder dieselbe Korblampe in einer Roomtour entdecken.
Es geht am Anfang des Trends meist noch darum zu feiern, dass jemand eine interessante Idee hatte. Doch entwickelt es sich schnell in die Richtung, dass man dazu gehören möchte.
Ich folge keinen Trends!
Selbst wenn man sich zu der Sorte Mensch zählt, die nicht auf Trends aufspringen. Es gibt in jeder Geschmacksrichtung Trends, die man aufnimmt. Wir leben nicht in einem Vakuum. Selbst wenn ich z.B. nicht auf die klassischen Mainstream-Trends aufspringe, kann es durchaus passieren, dass mich die Farbgestaltung einer kleineren Community mitreißt und mich beeinflusst. In jeder noch so kleinen Community gibt es Trends, die abfärben. Ob nun plötzlich jeder in der Ökoschublade Bienenwachstücher benutzt oder überall Dramalamas zu finden sind. Im Endeffekt ist das alles ein Trend, eine Bewegung, die eine Zeit lang durch die Leben vieler Menschen zieht und irgendwann wieder abklingt.
Sind Trends verwerflich?
Alles hat seine guten und schlechten Seiten. Je größer ein Trend wird, desto absurdere Früchte trägt er irgendwann. Plötzlich ist gefühlt alles nur noch so wie der Trend es vorschreibt. Das liegt oft daran, dass Trends kommerzialisiert werden. Sobald ein Trend in der Mainstream-Kultur angekommen ist, kann man davon ausgehen, dass es immer absurder wird. So wie plötzlich alles eine Scheunentür zum Schieben hat, auch wenn es absolut keine Notwendigkeit dafür gibt eine TV-Konsole so auszustatten.
Das große Problem mit Trends beginnt dann, wenn zugunsten des Neuen, das Alte weggeworfen wird. Dadurch entstehen massive Probleme für die Umwelt, denn was wir nun wirklich nicht mehr gebrauchen können ist noch mehr Abfall.
Deshalb empfehle ich immer erstmal drüber zu schlafen bevor man ein Projekt anfängt, dass man irgendwo gesehen hat.
Das Problem mit Trends im DIY Bereich
Besonders im DIY Bereich gibt es sehr viele Projekte, die nur kurz bis überhaupt nicht auf Praktikabilität getestet sind. Meistens muss es nur fürs Video schön aussehen. Aufgrund der Schnelllebigkeit auch in der DIY Branche wird unglaublich viel an Inhalten heraus geballert, manchmal ohne Sinn und Verstand.
Mein Lieblingsbeispiel dafür ist die gestrickte Decke mit super dickem Strickgarn. Man braucht dafür kiloweise sogenanntes Kardenband, also Schafwolle, die als Band gekämmt/kardiert wurde und dafür gedacht ist, versponnen zu werden. Dieses Vorgarn ist sehr dick, meist 3-5 cm im Durchmesser, und sehr weich und fluffig. Weich und fluffig klingt super? Schon, aaaaber dieses Vorgarn ist sehr instabil. Die einzelnen Fasern verfilzen sehr, sehr schnell und können sich auch herauslösen. Denn sie sind eigentlich dafür gedacht, dass sie durchs Verspinnen nochmal eingedreht werden und so Stabilität bekommen.
Nun hat sich aber irgendein DIY-Experte gedacht, hey, mit dem dicken Zeug geht das Stricken doch viel schneller, lass mal ne Decke daraus machen. Das war zu der Zeit als Armstricken noch IN war. Statt Stricknadeln hat man seine Arme quasi benutzt, um die Maschen zu halten.
Diese Decke habe ich über Jahre immer wieder auf Pinterest gesehen. Ich habe mich immer wieder gefragt, warum niemand hinterfragt, ob das eine gute Idee ist. Tatsächlich habe ich irgendwann aktiv danach gesucht und ein Video gefunden, wo dieses DIY quasi debunkt wurde. So richtig mit Waschtest und allem Pipapo.
Fazit war, dass man die Decke am besten nicht berührt wird, man keine Haustiere oder Kinder hat und sie eher als Kunstinstallation auf einem nicht benutzten Sessel wirken lässt. Denn diese Decke ist nicht waschbar, fusselt und nimmt jeden Fussel und jedes Haar auf und lässt es nicht mehr gehen. So eine Decke wird sehr schnell richtig eklig. Spricht darüber jemand? Nein, ich habe nur ganz selten gesehen, dass das hinterfragt wird, obwohl man mit etwas Verständnis für Material sofort das Problem erkennen kann.
Was kannst du tun?
Und genau das wünsche ich mir mehr in unserem DIY Bereich. Etwas mehr darüber nachdenken ob dieses DIY wirklich Sinn macht. Etwas mehr testen bevor man es veröffentlicht. Deshalb finde ich Videos in denen nachträglich nochmal die eigenen Projekte reflektiert werden sehr hilfreich. Denn da kommen die Schwächen und Stärken zutage sowie die Anpassungen, die man eventuell durchgeführt hat um es zu beheben. Einen ganz großen Daumen hoch an alle DIYer, die so mutig sind sich der Kritik auszusetzen, die unweigerlich damit einhergeht wenn man Fehler zeigt.
Doch auch im privaten Bereich kannst du einiges dafür tun um keinem unsinnigen Trend auf den Leim zu gehen. Schlaf erstmal ne Nacht drüber. Schau dich um ob dieses Projekt überhaupt zu dir, deiner Umgebung und deinen Bedürfnissen passt. Ist es schwer oder unmöglich dieses DIY zu entsorgen oder wieder rückgängig zu machen wenn es dir irgendwann nicht mehr gefällt? Brauchst du Unmengen Zeug dafür nur um etwas zu machen, dass im fertigen Zustand viel, viel billiger wäre?
Es schadet nicht etwas zu hinterfragen. Ein bisschen gesunde Skepsis. Lies dir Kommentare unter dem DIY durch um Erfahrungsberichte zu finden. Auch wenn es viele gutmeinende Kommentatoren manchmal übertreiben und es in Wirklichkeit oft gar nicht so dramatisch oder schwer ist. Es kann dennoch ein Quentchen Wahrheit darin stecken, vor allem wenn sehr viele das selbe berichten.
DIY als Kunstobjekt
Abseits der nutzbaren DIYs gibt es aber auch Projekte, die nur dafür da sind um schön auszusehen. Diese “Stehrumchen” müssen nicht praktikabel sein und deshalb kann man sich hier vollkommen austoben! Wenn dir also die gestrickte Decke aus Vorgarn gefällt, du keine Haustiere oder Kinder hast und die Möglichkeit die Decke als reines Dekorationsobjekt hinzulegen, dann passt das! Die Decke wird wahrscheinlich nach einem Jahr immernoch gut aussehen. Unter diesen Umständen funktioniert das DIY also.
Genauso verhält es sich mit Kerzenständern, die mit Trockenblumen dekoriert werden. Für mich persönlich viel zu gefährlich, denn ich habe Katzen, die gerne Dinge umschmeissen und neige dazu gegen Tische zu rempeln. Unter meinen Umständen wäre dieses DIY also eine absolute Brandgefahr. Unter anderen Umständen, z.B. wenn die Kerze darin sowieso nie angezündet wird, kein Problem.
Wenn man ein Projekt also von vornherein als Deko- oder Kunstobjekt ansieht, kommt man mit sehr viel mehr künstlerischer Freiheit durch!
Trends in den Handarbeiten sind meiner Meinung per se nichts Schlechtes. Als Mensch brauchen wir beides: Zusammengehörigkeitsgefühl und Selbstausdruck. Trends schliessen beides mit ein. Denn selbst wenn jemand alle möglichen trends mitmacht, ist die Auswahl der Trends dennoch eine Art Selbstausdruck. Für Selbstausdruck muss man sich nämlich nicht alles selbst ausgedacht haben. Mir persönlich liegt nur am Herzen, dass die Umwelt nicht darunter leiden muss. Also wählt eure Trends mit Bedacht und schaut mal genauer hin ob es für euch Sinn macht oder es nur eine Übersprungshandlung ist.
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